MitoSENS: Schädigungen durch mitochondriale Mutationen verhindern
Geschrieben von: Dennis RudolphMittwoch, 23. Mai 2018 um 15:41 Uhr
Die Forschungseinrichtung SENS Research Foundation hat sieben Programme ins Leben gerufen, um den menschlichen Alterungsprozess sowie Maßnahmen dagegen zu beschreiben. In diesem Artikel geht es um MitoSENS zu mitochondrialen Mutationen.
Das Problem
Mitochondrien sind die lebenden Maschinen innerhalb von Zellen, die als ihre “Kraftwerke” fungieren, indem sie die energiereichen Nährstoffe in unserer Nahrung in ATP umwandeln; diejenige Energieform, die direkt die biochemischen Reaktionen in der Zelle antreibt. Anders als jeder andere Zellteil haben Mitochondrien ihre eigene DNA (mtDNA), getrennt von der DNA im Zellkern, wo sich der ganze Rest unserer Gene befindet.
Genau wie echte Kraftwerke erzeugen Mitochondrien im Prozess der Verbrennung von Nahrungsenergie als Treibstoff giftige Abfallprodukte - in diesem Fall werden reaktionsfreudige Moleküle, freie Radikale genannt, ausgespien, welche zelluläre Strukturen schädigen können. Und die mtDNA is besonders verwundbar durch diese freien Radikale, weil sie so nah am Zentrum ihrer Produktion liegt. Im schlimmsten Falle kann ein “Treffer” der mtDNA durch ein freies Radikal zu bedeutenden Deletionen in ihrem genetischen Code führen und so dem Mitochondrium die Fähigkeit nehmen, die Anleitungungen zu verwenden, um Proteine herzustellen, die kritische Bestandteile ihres Energie generierenden Systems sind.
Während ihnen die Komponenten fehlen, um auf normale Art und Weise Zellenergie zu erzeugen, wechseln die mutierten Mitochondrien in einen entarteten metabolischen Zustand, um sich in Gang zu halten - ein Zustand, der wenig Energie produziert, wobei große Mengen an Abfällen entstehen. Die Zelle ist nicht darauf eingerichtet, diese zu verstoffwechseln. Perverserweise tendiert die Zelle dazu, an diesen defekten, mutierten Mitochondrien festzuhalten, während sie die normalen ins Recyclingcenter schickt. Wenn also auch nur ein Mitochondrium eine Deletion erleidet, übernehmen seine Nachkommen schnell die gesamte Zelle. Obwohl dies nur ein paar Zellen in unserem Körper passiert, fügen diese wenigen Zellen schließlich dem Körper als Ganzem unverhältnismäßig große Schäden zu, weil sie die Abfälle, welche ihre mutierten Mitochondrien erzeugen, in den Kreislauf abladen und ihre Umwelt vergiften, indem sie die Zunahme von oxidativem Stress im ganzen Körper bewirken.
Die Lösung:
Ideal wäre es, wenn wir die mitochondrialen Deletionen verhindern könnten oder wenn wir sie reparieren könnten, nachdem sie passiert sind, doch bevor sie Unheil anrichten können; leider ist die Wissenschaft weit entfernt von dem Punkt, wo dies ein realistisches Ziel wäre. Stattdessen ist die MitoSENS-Strategie zu akzeptieren, dass mitochondriale Mutationen gelegentlich passieren, und ein System zu entwickeln, um die Schäden zu verhindern, die sie der Zelle zufügen.
Wir können dies erreichen, indem wir “Backup-Kopien” der mitochondrialen Gene im Zellkern anlegen, wo sie nicht von freien Radikalen beschädigt werden können, die von den Mitochondrien generiert werden. Auf diese Weise werden die Backupkopien in der Lage sein, die benötigten Proteine bereitzustellen, um die normale Energieproduktion am Laufen zu halten, selbst wenn die Originalgene in den Mitochondrien gelöscht werden. Dies wird es den zellulären Kraftwerken ermöglichen, normal weiterzuarbeiten, und wird verhindern, dass sie in einen toxischen, mutierten Stoffwechselzustand geraten. Dieser Ansatz wird Fremdgenexpression der Proteine genannt.
In diesem Fall haben wir Glück: Die Evolution hat bereits den schwierigsten Teil für uns erledigt und uns Hinweise gegeben, wie wir die Aufgabe zu Ende bringen können. Heute beinhaltet die mitochondriale DNA Anweisungen, um bloß 13 Proteine zu bauen, die von den Mitochondrien benötigt werden. Blickt man weit zurück in die Evolutionsgeschichte, so gab es buchstäblich ungefähr eintausend solcher Gene. Diese Gene existieren immer noch und sie werden alle noch gebraucht, um die Mitochondrien normal am Laufen zu halten - vor mehreren hunderttausend Jahren jedoch trieben Evolutionskräfte sie aus den Mitochondrien heraus und verlagerten sie in den Zellkern. Dieser Prozess wurde durch das gleiche Problem angetrieben, das die mitoSENS-Strategie lösen will: dass all jene Gene so nah am “Explosionszentrum” zu haben verheerende Schäden anrichtete, und dass die Zelle es besser hätte, wenn diese Gene in den sicheren Hafen im Zellkern verlagert werden. Die Proteine, die von diesen Genen kodiert werden, werden im Hauptteil der Zelle konstruiert, außerhalb der Mitochondrien, und dann in die Mitochondrien importiert, durch spezialisierte Transportdocks in ihren Membranen.
Eine der Herausforderungen bei der Ausführung dieses Plans ist, dass die 13 verbleibenden Proteine für die Mitochondrien ziemlich schwierig zu importieren wären, denn wenn sie einmal im Hauptteil der Zelle gebildet sind, falten sie sich schnell zusammen, was es für sie schwierig bis unmöglich macht, durch die Poren in der Mitochondrienmembran hindurchgefädelt zu werden. Dies ist wahrscheinlich der Grund, warum der Evolutionsdruck die Gene noch nicht dazu gezwungen hat, sich zu verlagern.
Aber es gibt einige Möglichkeiten, um dieses Problem zu umgehen. Eine ist, sich Lösungen anzuschauen, die die Evolution in anderen Organismen entdeckt hat. In einigen Fällen hat die Evolution die Beibehaltung modifizierter Versionen der Gene für genau dieselben Proteine bevorzugt, die unsere Mitochondrien immer noch in ihrer eigenen DNA kodieren, weil die Proteine, die durch diese modifizierten Gene hergestellt werden, weniger die Tendenz haben, sich im Zellkörper aufzuwickeln. Diese Widerstandsfähigkeit gegen Aufwickeln bedeutet, dass wenn die Gene für die modifizierten Versionen der Proteine im Zellkern kodiert sind, die Proteine im Hauptteil der Zelle produziert werden und in die Mitochondrien hineingefädelt werden können. Es ist gut möglich, dass auf geeignete Weise modifizierte Versionen mitochondrialer, Zellkern-kodierter Gene von diesen Organismen auch bei uns funktionieren könnten.
Alternativ könnten wir molekulare “Einwegklammern”, Inteine genannt, in die Proteinsequenz einfügen, die die Proteine vorübergehend gerade genug halten würden, um sie die Membranen passieren zu lassen.
Einem dritten Ansatz, den das SENS Forschungsinstitut gerade am aktivsten erforscht, wurde der Weg bereitet von Professorin Marisol Corral-Debrinski am Institut de la Vision an der Pierre- und Marie-Curie-Universität, Paris. Sie veränderte die Gene für die Proteine, die in den Zellkern verlagert werden sollen, so, dass das Protein von seinen Anleitungen sehr nahe an der Mitochondrienoberfläche “dekodiert” wird, anstatt weit weg im Zellkörper. Dieser Ansatz ermöglicht es den Fremdgen-exprimierten Proteinen, direkt in die Mitochondrien hineingefädelt zu werden, bevor sie die Gelegenheit haben, sich zu stark zu verdrehen.
Vom SENS Forschungsinstitut finanzierte Forschung
Aktuelle Interne Forschung
Im September 2010 trat Dr. Matthew “Oki” O’Connor dem Forschungszentrum bei, um die Fremdgenexpression aller 13 Mitochondrien-kodierten Gene in isolierten Zellen in Angriff zu nehmen. Die Techniken von Dr. Corral-Debrinski beherrschend arbeiten die Wissenschaftler des Forschungszentrums nun daran, diese Fortschritte auf alle 13 Proteine auszuweiten, die von dem mitochondrialen Genom kodiert werden. Wir haben Systeme geschaffen, die Kopien von 5 mitochondrialen Genen in die Kern-DNA “hineinschweißen”, und führen Experimente durch, um unsere Ergebnisse in einer weiteren Mäusezelllinie zu bestätigen sowie in Zelllinien von Patienten mit mutierten Versionen von zwei dieser Gene, um zu sehen, ob die neuen Gene die normale mitochondriale Funktion dieser Zellen wiederherstellen werden. Wir bestätigen nun Ort und Funktion der Fremdgen-exprimierten Proteine in diesen Zellen.
Finanzierte Forschung in externen Zentren
Dr. Corral-Debrinskis Originalexperimente, oben diskutiert, wurden in isolierten Zellen durchgeführt. Mit finanzieller Unterstützung des SENS Forschungsinstitutes konnte Dr. Corral-Debrinskis Team zeigen, dass ihr Fremdgenexpressionssystem in lebenden Tieren funktioniert. Sie führten zuerst mittels eines Fremdgenexpressionssystems das mutierte mitochondriale Gen, das für eine angeborene Form von Blindheit verantwortlich ist, in die Rattenaugen ein, was zum Abbau von lichtempfindlichen Zellen im Auge und zur Blindheit führte, genau wie die Mutation dies in Patienten tut, die sie erben. Dann verwendeten sie dasselbe System, um die normale Form des Gens in dieselben Rattenaugen einzuführen, was zur Wiederherstellung der Sehkraft führte.
Mit Hilfe eines Gentherapiesystems treibt Dr. Corral-Debrinskis Team dies nun weiter, zuerst in Affenstudien, die eine Gentherapieversion dieses Systems auf Sicherheit testen werden, und um zu sehen, wie lange sie die Expression des Fremdgen-exprimierten Transgens aufrechterhalten können. Wenn erfolgreich, beabsichtigen sie, einen mitochondriale Gentherapie für menschliche Patienten zu erschaffen, die mit dieser Mutation geboren wurden, um ihre Sehkraft wiederherzustellen. Wenn sie dabei wiederum Erfolg haben, wollen sie diesen Ansatz anwenden, um Sehstörungen zu behandeln, die von anderen vererbten mitochondrialen Mutationen verursacht wurden. All diese Arbeit wird sehr zu unserer Fähigkeit beitragen, später die Fremdgenexpression mitochondrialer Gene in den Körper als Ganzes zu übersetzen, um die mit altersbedingten mitochondrialen Mutationen verbundenen Probleme zu verhindern.
Sonstiges:
Letzte Aktualisierung der Übersetzung: 16.12.2015
Englische Version unter http://sens.org/research/introduction-to-sens-research/mitochondrial-mutations
Wichtig: Diese Website ist kein offizieller Teil der SENS-Forschung. Im Zweifel bitte die englische Original-Version benutzen.
Alle Programme: AmyloSENS, LysoSENS, GlycoSENS, OncoSENS, MitoSENS, RepliSENS und ApoptoSENS
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